Der Hufschlag der Nacht - lustige Kurzgeschichten

Der Hufschlag der Nacht – lustige Kurzgeschichten

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Auri, das schlaue Pferd

Jakob war Bauer. Kein reicher, aber ein zufriedener. Sein Hof war nicht groß, aber er lag schön am Rande eines kleinen Dorfes. Dort arbeitete er Tag für Tag, meist allein – abgesehen von seinem treuen Pferd Auri. Auri war nicht irgendein Pferd. Groß, klug, und so außergewöhnlich schön, dass sogar die Kinder aus dem Nachbardorf am Zaun standen und schauten. Die Mähne glänzte silbern im Morgenlicht, und wenn sie galoppierte, hörte es sich an, als würden Trommeln übers Land rollen.

„So ein Tier“, sagte der alte Hannes am Stammtisch, „das hat doch längst einer geklaut, wenn du nicht aufpasst, Jakob!“ Jakob zuckte nur mit den Schultern. „Soll er’s versuchen“, brummte er. „Ich schlaf im Stall, direkt neben Auri. Da kommt keiner rein.“ Tatsächlich hatte er eine alte, durchgelegene Matratze neben Auris Box ausgebreitet. Ein bisschen Stroh als Polster drunter, eine kratzige Decke drüber – fertig war sein Nachtlager. „Wenn einer kommt, merk ich’s sofort“, erzählte er stolz im Dorf. Aber die Wahrheit war: Auri war schon immer der Hellere von beiden gewesen.

In der Nacht, als alles passierte, war es still. Keine Hunde bellten, der Wind schlief, und der Mond hing wie eine silberne Sichel am Himmel. Nur hin und wieder knackte draußen ein Zweig. Kurz vor zwei wurde Auri unruhig. Sie hatte feine Ohren, besser als jeder Wachhund. Da – leise Schritte im Kies, drei Männer, die Schatten warfen, schlichen vorsichtig auf den Hof. Auri hob den Kopf, spitzte die Ohren, schnaubte leise. Jakob lag daneben und schnarchte, als gäbe es keinen Morgen.

„Jakob“, dachte Auri – wenn Pferde denn denken könnten –, „jetzt wäre dein großer Moment.“ Sie wieherte einmal, kurz, vorsichtig. Nichts. Jakob reagierte nicht. Nur das Schnarchen wurde lauter, ein langer, brummender Klang, der durch den ganzen Stall dröhnte. Auri stampfte mit dem Huf. Noch immer kein Lebenszeichen. Kein Zucken, kein Grunzen, kein Augenöffnen. Wieder ertönte ein monumentales SCHNAAAAAAARRRRRRCHHHHHH, als würde ein Bär im Heu schlafen.

Auri musste improvisieren. Sie scharrte mit dem Huf ein Loch ins Stroh. Dann ließ sie laufen – Pferdepipi, wie nur ein Pferd es kann. Eine kleine, warme Pfütze breitete sich aus. Und dann, mit aller Kraft, schlug sie den Huf mitten hinein: Platsch! Ein ordentlicher Spritzer, direkt auf Jakobs Gesicht. Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten.

Jakob schreckte hoch, als hätte ihn der Blitz getroffen. „Was zum…?!“ Verwirrt setzte er sich auf, wischte sich durchs Gesicht. Ihm dämmerte langsam, was da passierte. „AURI! Hast du mich angepullert?!“ Noch halb verschlafen, doch mit wachsendem Zorn, hörte er plötzlich Stimmen draußen, gedämpftes Flüstern, das Klacken von Schuhen auf Kies.

Ohne zu überlegen, griff Jakob nach der Mistgabel, sprang barfuß aus dem Stall und brüllte: „Weg da! Ich seh euch! Ihr Saubande!“ Die drei Diebe erstarrten vor Schreck. Der dickste stolperte rückwärts und fiel mit lautem Geplatsche in die Güllegrube. Der mit der Glatze erwischte den Zaun – ein scharfes Klirren und ein noch schärferer Aufschrei. Und der dritte? Der rannte so schnell davon, dass er einen Rekord aufgestellt hätte, wäre es ein Wettlauf gewesen.

Erst als Stille eingekehrt war, setzte sich Jakob schwer atmend auf die Schwelle. „So was…“ Er schaute zurück zu Auri, die ganz unschuldig Kaute und so tat, als hätte sie mit der ganzen Aufregung nichts zu tun.

Am nächsten Morgen war der Hof schon früh voller Neugieriger. Die Nachricht vom nächtlichen Diebstahlversuch hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Jeder wollte Auri sehen, das Pferd, das nicht nur schön, sondern auch schlau war. Jakob musste immer wieder die Geschichte erzählen, wie er – halb im Schlaf, halb im Pferdeurin – drei Gauner in die Flucht geschlagen hatte.

Als der Trubel vorbei war, klopfte Jakob Auri sanft auf die Stirn. „Du bist mir vielleicht eine“, sagte er schmunzelnd. „Nicht nur schön – auch noch schlauer als ich. Aber beim nächsten Mal“, fügte er augenzwinkernd hinzu, „bitte ein Eimerchen, ja?“ Auri blinzelte. Und wenn sie hätte grinsen können, hätte sie es genau in diesem Moment getan. Und vielleicht, nur vielleicht, war ihr an diesem Tag das Hafermüsli besonders lecker.

Ende.

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